Konzert anlässlich des 200. Geburtstages des Komponisten
Friedrich Freiherr von Flotow


Einführende Worte von Prof. Dr. Hartmut Möller, HMT Rostock
Der folgende Text wurde im Rahmen des Konzerts vorgetragen und dokumentiert hier die musikhistorische Einordnung Flotows.

Friedrich von Flotow hatte, so wird überliefert, musikalische Eltern: sein Vater blies als Dilettant die Flöte, seine Mutter sang gerne und spielte Klavier. Sie war es, die ihrem Sohn elementare Musikkenntnisse beibrachte.

Als 1828 ein aus Reval stammender Klarinettenvirtuose in Doberan ein Konzert gab, lernte dieser die musikalische Begabung des jungen Flotow kennen. Höchstpersönlich brachte der Vater daraufhin den 16-jährigen in seiner Kutsche nach Paris. Der junge Friedrich studierte am Konservatorium und freundete sich u.a. mit Offenbach und Gounod an.

Sein erster größerer Erfolg als Komponist war die Oper „Alessandro Stradella“. Seine Oper „Martha“ sollte die meistgespielte Oper in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. werden. Und auf diesen beiden Werken beruht auch seine Bekanntheit, wobei heute nur noch „Martha“ zum aktiven Repertoire zählt.

Zentrales kompositorisches Anliegen Flotows war die Entwicklung sanglicher Melodien, schlagkräftiger Themen und kantabler Bögen – also nicht thematische Arbeit in Tradition der Wiener Klassiker. In den französischen Salons interessierte man sich nicht für die deutsche Ästhetik, und deshalb war Kammermusik etwa in Leipzig in völlig anderer Situation als in Paris.

Flotow komponiert ausdrücklich für die Ästhetik der Salons: dort herrschte großes Interesse für die Opernbühne, und dort war leichte musikalische Unterhaltung wichtig. Melodiöses stand im Vordergrund, nahe am französischen Opernstil.
Und Flotow orientierte sich genauso an der italienischen Oper, am Belcanto.
Insgesamt ist es die Eingängigkeit seiner melodischen Erfindung, auf der zweifellos sein Erfolg beruht.

Kein Wunder, dass Flotows Kammermusik damals von deutschen Rezensenten nicht verstanden wurde. -- Ein Beispiel:

1845 veröffentlichte von Flotow in Hamburg ein Klaviertrio. Es trug den bezeichnenden Titel: „Trio de Salon » – Salon-Trio. Von der zeitgenössischen deutschen Kritik wurde es übereinstimmend abgelehnt. So heißt es in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ 1846:

„Das Stück gibt nicht den geringsten Anlaß zur Besprechung; wir bedauern nur, dass es sich mit dem Namen ‚Trio‘ spreizt. Ohne alle tieferen Wert, leicht dahin geschrieben, piquant und gefallsüchtig, ist es für eine gewisse Art Dilettantinnen wie gemacht.“

In dieser Kritik ist eine Unterscheidung und Abgrenzungen zentral, die wichtig für die Einordnung von Flotow ist: die Unterscheidung von Musik mit tieferem Wert und solcher, die „piquant und gefallsüchtig“ ist. Dahinter steht: Absetzung von Kunst gegen Nicht-Kunst, Geist gegen Sinnlichkeit, Ernst gegen Unterhaltend. Deutsch gegen französisch und italienisch.

Seit Beginn 19. Jh wurde diese verhängnisvolle rigorose Zweiteilung der musikalischen Kultur eingeführt, als Basis für Entgegensetzung Kunst und Kitsch.

Damals wurden gegeneinandergesetzt Beethoven und Rossini: beide Komponisten dienten dem 19. Jahrhundert zum Aufbau eines zweigeteilten musikalischen Weltbildes: hoch-niedrig, geistig- sinnlich, deutsch-italienisch/französisch.

Die Musikästhetik des 19. Jhs teilte die Musik auf, um die eine Seite für die Kunst zu retten – setzte sich in Gegensatz zu der anderen Seite. Eine tiefgreifende Spaltung des Musikbegriffs war die Folge, und die führte dann auch zur Spaltung der Musikkultur. Musik war lange nicht in höheren Bildungskanon integriert, bezeichnend Musikunterricht hauptsächlich für Mädchen. (In der Flotow-Kritik ist denn auch von einer „gewissen Art von Dilettantinnen“ die Rede, für die er komponiere.)

Gegen die Musik von Flotows gab es viele Vorbehalte schon zu Lebzeiten: er habe keine nationale Einstellung, verbinde französische, italienische und deutsche Stilistik. Sein Verzicht auf Kontrapunktik, durchbrochene Arbeit und motivische Dichte wurde als MANGEL gesehen. Und man misstraute aller leichter gefügten Musik und allem Populären, insbesondere seiner Herkunft aus der französischen Operntradition. Die deutsche Kritik unterschied schroff zwischen deutschen „gediegenen Werken“ und „französischer Galanterieware“.

Doch Wilhelm Neumann in erster Flotow-Biographie 1855 betonte, dass auch in Deutschland ein Großteil des Publikums eigene Wege ging: „vorzugsweise in Deutschland fühlt man in der Musik anders als man denkt und schreibt“ (d.h. Publikum gefiel vieles, was die Kritiker ablehnten).

Noch ein weiterer Gesichtspunkt: wer legt eigentlich fest, welche Komponisten beachtenswert und wichtig sind, und welche eher in der 2. und dritten Reihe stehen? – Wir wissen, dass z.B. ein Komponist wie Mendelssohn zur Zeit des Nationalsozialismus offiziell nicht gespielt werden durfte, daß Ersatzstücke z.B. für den „Sommernachtstraum“ komponiert wurden, nur weil er als Jude zu sog. „Entarteten Musik“ gehörte.

Bis heute bestimmen ästhetische Ideale, die aus der Wiener Klassik abgeleitet wurden, das Denken und die Auswahl, wer „Großer Komponist“ ist. Im Zentrum stehen die großen Meister, und in diesem Zusammenhang wird gerne auch einer wie von Flotow als „Kleinmeister“ angesprochen.

Doch heute ist ja gar nicht mehr so klar: ”Die” Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, wie sah sie aus?
Bis zum Ende des 18. Jahrhundert war es völlig unüblich, von ”der” Geschichte im Singular zu sprechen – es gab nur eine Vielzahl von ”Geschichten”, aber nicht ”die” Geschichte. Von ”der” Geschichte zu sprechen, suggeriert, die Geschichte sei gewissermassen eine Person, die ihre Lebensweisheiten verkündet. Jedoch von dieser personifizierten “Geschichte” zu sprechen, ist beim genaueren Hinsehen gar nicht einfach, doch gerade diese Sprachschwierigkeiten führen direkt zum eigentlichen Kern der Problematik: der Mehrdeutigkeit von Geschichte.

Unterschiedliche Konzepte werden mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht: Geschichte kann eine Folge von Ereignissen sein, Geschichte kann aber auch das Erzählen dieser Folge von Ereignissen. Das hat zur Folge, dass Geschichte ganz unterschiedlich erzählt werden kann. Zum Beispiel als Geschichte von großen Meistern, wo die kleinen Meister am Rande stehen. Oder ganz anders als Kulturgeschichte: Musik erscheint so gesehen eingebunden in die gesamte kulturelle Praxis. Und da sind die sog. Großen Komponisten nicht wichtiger als die sog. „Kleinmeister“ – jeder auf seine Weise, jeder an seiner Stelle. Eine solche Sichtweise kommt der historischen Realität viel näher als ein Entlanghangeln an einigen Spitzenwerken, so wunderbar die natürlich sind.

Diese heutige Vielfalt der Geschichtserzählungen führen auch im Blick auf Musikgeschichte zu Vervielfachung der Vergangenheit und zu einer entsprechenden ”neuen Unübersichtlichkeit” auch in der Geschichtsschreibung.

Aus solchen Überlegungen ergeben sich folgende Gedanken zur heutigen Bedeutung der Musik von Flotows:

Erstens: Die meisten der knapp 40 Bühnenwerke von Flotows verschwanden schon Ende des 19. Jahrhunderts von den Spielplänen. Erst gar nicht ins Repertoire gelangten die Lieder und Melodramen, Klavier- Orchester und Kammermusikwerke. Vieles ist auch gar nicht im Druck erschienen.
So gilt es heute und in Zukunft, die erhaltenen Werke kennenzulernen und nach Möglichkeit bekannter machen. Sinnvoll, Kammermusik gut edieren, spielen und dann angemessen einordnen. Außerdem die wenig bekannten Bühnenwerke sichten, einschließlich der Ouverturen, und dem historischen Kontext angemessen beurteilen.

Zweitens: bei Beschäftigung mit der Musik von Flotows sehr sorgfältig die traditionellen Beurteilungsschemata vermeiden: Nicht in den Gräben zwischen der deutsch-französischen Ästhetik des 19. Jahrhunderts versacken. Positiv gewendet: es geht um ein Rekonstruieren der anderen, nicht-deutschen Kompositionsästhetik, die seinem Komponieren zugrunde liegt. Und das bedeutet auch eine Chance zum besseren transnationalen Verstehen der Musik des 19. Jahrhunderts – der Verschiedenheiten des Deutschen und des Französischen in der Musik, in Mode und Geschmack im 19. Jh. Musik galt im 19. Jahrhundert als „natürliche“ Sprache, aber auch die Musik war an Verständniskonventionen gebunden, und die unterschieden sich in den verschiedenen Ländern.

Heute werden wir vielleicht besser verstehen, dass Flotows erster Biograph keineswegs nur eine Ehrenrettung Flotows versuchte, wenn er 1855 folgendes schrieb:

„Dass Flotow’s Werke Mängel an sich haben, wer leugnet dies? Ihr Hauptfehler ist vielleicht der, dass sie durch und durch französisch sind.

Dafür aber zeichnen sie sich aus durch jenen melodischen Reiz, der aus dem scharfen Rhythmus und der symmetrischen Gliederung der Gedanken entspringt, durch überaus gefällige Formen und sehr pikante Instrumentation.“
(Wilhelm Neumann, Fr v Fl, Kassel 1855, S. 7)


Friedrich von Flotow: wir erinnern mit diesem Konzert mit dem Morgenstern-Quartett den vielseitigen Komponisten des 19. Jhs aus Mecklenburg, deutsch-französisch in Kompositionsart und Ästhetik. Ein wahrhaft Europäischer Komponist!